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Verfälschte Statistik

In Oberösterreich gibt es um 53 Prozent mehr Arbeitslose als offiziell ausgewiesen

 

Pressegespräch Dienstag, 16. August 2005, 10 Uhr Presseclub Linz

Mag. Peter Huber Wirtschaftsforschungsinstitut (Studienautor)
Dr. Johann Kalliauer Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich
Dr. Josef Moser Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK

Beschäftigungsstatistik liefert ein Zerrbild der Realität –Arbeitslosigkeit in Oberösterreich um 53 Prozent höher!

Während die tatsächliche Beschäftigung durch offizielle Zahlen merklich überschätzt wird, ist die Situation bei der Arbeitslosigkeit umgekehrt. Die offizielle Statistik grenzt durch ihre Definitionen tausende in Wirklichkeit arbeitslose Menschen aus und verdeckt somit den Blick auf das wahre Ausmaß der Unterbeschäftigung und damit auf die Dringlichkeit wirtschaftspolitischer Maßnahmen.

Im Auftrag der oberösterreichischen Arbeiterkammer hat das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) die Unschärfen und Verzerrungen der amtlichen Beschäftigungsstatistik analysiert und vor zwei Wochen öffentlich präsentiert. Ergebnis: Die gesamtösterreichische Arbeitslosenquote betrug im Vorjahr nicht 7,1 sondern 9 Prozent.

Noch größer ist die Diskrepanz zwischen offiziell ausgewiesener und tatsächlicher Arbeitslosigkeit in Oberösterreich: Das Wifo kommt zum Ergebnis, dass im Jahr 2003 die tatsächliche Arbeitslosigkeit um zumindest 12.700 Personen unterschätzt wurde. Die korrigierte Arbeitslosenquote (nach Wifo-Definition: der Anteil des Arbeitskräfteüberschusses in Relation zu den aktiv Beschäftigten) erhöht sich dadurch von 4,5 Prozent auf 6,7 Prozent.

Basierend auf den Wifo-Berechnungen hat die Arbeiterkammer die Zahlen für das Jahr 2004 aktualisiert: Laut offizieller Statistik waren im Jahresdurchschnitt 26.141 Personen arbeitslos, berücksichtigt man die erwähnten Verzerrungen so sind es tatsächlich 40.169 Arbeitslose. Das sind 53 Prozent mehr als in der offiziellen Statistik!

Wie entsteht die verfälschte Beschäftigungsstatistik?

Wer sich ein Bild von der Arbeitsmarktsituation und der Beschäftigungsentwicklung machen will, muss hinter die Kulissen der Beschäftigungsstatistik schauen. Die Aussagekraft der üblichen, traditionellen Daten der Sozialversicherungsträger ist durch Änderungen der Rahmenbedingungen und durch veränderte Beschäftigungsformen erheblich gesunken. Dieses österreichweite Phänomen trifft in ganz besonderer Weise auf Oberösterreich zu.

Was heißt beispielsweise: die Beschäftigung steigt? Gibt es mehr Beschäftigungsverhältnisse oder hat sich auch die Zahl der beschäftigten Personen erhöht? Sind diese Personen „produktiv“ beschäftigt? Hat sich auch das Beschäftigungsvolumen erhöht oder sind nur Vollzeitjobs durch Teilzeitarbeitsplätze ersetzt worden? Deutet der Aufwärtstrend in der Beschäftigungsstatistik tatsächlich auf bessere Beschäftigungs- und Einkommenschancen der oberösterreichischen Arbeitnehmer/-innen hin oder nicht?

Aktive Beschäftigung überzeichnet

Im Jahresdurchschnitt 2004 sind in der offiziellen Beschäftigungsstatistik (Hauptverband der Sozialversicherungsträger) in Oberösterreich 562.252 Beschäftigte (genauer: Beschäftigungsverhältnisse) erfasst. Das sind immerhin um 5,7 Prozent oder 30.259 Beschäftigte mehr als im Jahresdurchschnitt 2000.
Im selben Zeitraum hat sich aber die Zahl der Kinderbetreuungsgeldbezieher/-innen von 11.502 auf 23.315 mehr als verdoppelt. Das heißt mehr als ein Drittel des offiziellen Beschäftigungszuwachses ist lediglich „statistischer“ Art, denn diese Kindergeldbezieher/-innen sind als Beschäftigte ausgewiesen, ohne aktiv beschäftigt zu sein. Dieser Trend hält weiter an: Zwischen Mai 2004 und Mai 2005 hat sich die Zahl der Beschäftigten um 10.651 erhöht – ein Drittel (3.535) davon entfällt auf den Anstieg der Kinderbetreuungsgeldbezieher/-innen.

Gleiches gilt für Präsenzdiener, die in der offiziellen Beschäftigungsstatistik mitgezählt werden, aber nicht aktiv beschäftigt sind. Allerdings ist dieser Effekt quantitativ wesentlich schwächer.

Auch die Erfassung von Arbeitslosen, die an einer AMS-Schulungsmaßnahme teilnehmen, wirkt sich auf die Beschäftigungsstatistik aus. Bis Ende 2003 wurden jene AMS-Schulungsteilnehmer, die eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhaltes erhielten, als beschäftigt gezählt. Seit Anfang 2004 sind diese Personen nicht mehr voll sozialversicherungspflichtig und fallen damit auch aus der Beschäftigungsstatistik heraus. Im Jahr 2000 wurde dadurch die Zahl der aktiv Beschäftigten allein in OÖ um 1.688 Personen überschätzt (im Jahr 2003 sogar um 2.144).

Ein Effekt, der besonders in Oberösterreich wirksam ist, ist die Blockvariante bei der Altersteilzeit. Diese Personen werden über die gesamte Spanne der Altersteilzeit als beschäftigt erfasst, obwohl sie lediglich in der ersten Hälfte dieser Zeitspanne (Vollzeit) aktiv beschäftigt sind, und dann in den Freizeitblock wechseln. Allein in Oberösterreich befanden sich 2004 8.924 Personen in Altersteilzeit. Davon sind etwa 1.500 Personen nicht mehr aktiv beschäftigt.

Den gleichen Effekt haben diverse „Vorruhestandsregelungen“ in einigen Großbetrieben („Golden Handshake“), wo ältere Mitarbeiter einen Großteil ihres Gehalts weiterbeziehen, aber nicht mehr aktiv erwerbstätig sind.

Ein weiterer Grund für das Auseinanderklaffen von offizieller Beschäftigung und effektiver Beschäftigung sind Dauerkrankenstände: die Betroffenen sind als beschäftigt erfasst, erbringen im Krankenstand aber logischerweise keine Arbeitsleistung. Bei längeren Krankenständen wird die Einstellung einer Ersatzarbeitskraft notwendig, sodass in diesen Fällen sozusagen eine Doppelzählung vorliegt. In Oberösterreich hat sich die Zahl der Personen im Dauerkrankenstand zwischen 2000 und 2003 um 1.400 Personen verringert; das heißt um diese Zahl wird die tatsächliche Beschäftigungsentwicklung unterschätzt.

Resümee:

Im Zeitraum 2000 bis 2004 ist in Oberösterreich die aktive Beschäftigung deutlich hinter der offiziellen Beschäftigung zurückgeblieben. Das tatsächliche Beschäftigungsplus verringert sich um mehr als 1/3 auf knapp 20.000. Dieses Auseinanderdriften von offizieller und effektiver Beschäftigung hält weiter an. Vor allem die Entwicklung bei den Kinderbetreuungsgeldbezieher/-innen und bei der Altersteilzeit wird bis etwa 2007 noch an Bedeutung gewinnen.
Relevant sind diese Faktoren auch für die europäische Beschäftigungsstrategie und die Lissabonziele. Derzeit wirken sich die Kinderbetreuungsgeldbezieher/-innen und Personen in Altersteilzeit günstig (=erhöhend) auf die vereinbarten Kennzahlen (Beschäftigungsquoten bei Frauen und Älteren) aus. Bis zum Jahr 2010 werden diese Effekte allerdings wegfallen oder sich sogar umkehren (Wegfall der Altersteilzeitbeschäftigten). Die jüngsten Studien des IHS zur Situation der Frauen am Arbeitsmarkt bekräftigen diesen Befund.

Arbeitsvolumen stagniert

Hinzu kommt, dass die Zahl der Beschäftigten bzw. Beschäftigungsverhältnisse im Grunde noch nichts über die Entwicklung des Arbeitsvolumens aussagt, weil es einen anhaltenden Trend hin zur Teilzeitbeschäftigung gibt. In Oberösterreich gingen laut Mikrozensus zwischen 2000 und 2003 9.500 Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse verloren, andererseits hat sich die Zahl der Teilzeitjobs um 22.300 erhöht. Das heißt das Wachstum des Arbeitsvolumens bleibt weit hinter dem offiziellen Beschäftigungswachstum zurück. Das WIFO schätzt für Oberösterreich, dass das Arbeitsvolumen in Oberösterreich zwischen 2000 und 2003 bestenfalls stagnierte (oder sogar leicht sank).

Bei Männern ist das Arbeitsvolumen eindeutig gesunken: in den beobachteten Jahren gingen 5.500 Vollzeitjobs verloren, es kamen aber lediglich 1.600 Teilzeitarbeitsplätze hinzu. Bei den Frauen reduzierte sich die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze um 3.900 und die Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen hat sich um 20.700 erhöht, sodass in Summe das Arbeitsvolumen der Frauen gestiegen ist. Der Zuwachs bei den Frauenarbeitsplätzen entfällt zu einem erheblichen Teil auf geringfügige Beschäftigungen, mit all den bekannten negativen Begleiterscheinungen.

Atypische Beschäftigung wächst überproportional

In den letzten vier Jahren hat sich die Zahl der geringfügig Beschäftigten um knapp 11 Prozent auf 35.000 erhöht – Tendenz weiter steigend. Ähnliches gilt für (geringfügig) Freie Dienstverträge bzw. Werkverträge. Bereits 6,4 Prozent aller Beschäftigten erzielen kein ausreichendes Einkommen, um den Lebensunterhalt damit zu sichern. Die Folge ist, dass die Betroffenen – nach Möglichkeit – mehrere Beschäftigungen annehmen. Selbst in dem relativ kurzen Zeitraum 2000 bis 2003 weisen die Mehrfachbeschäftigungen deutlich höhere Zuwachsraten auf als die „Einfachbeschäftigten“.
In der Beschäftigungsstatistik wird also nicht nur das Arbeitsvolumen sondern auch die Zahl der beschäftigten Personen überschätzt wird. Durch die Mehrfachbeschäftigungen steigt die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse stärker als jene der beschäftigten Personen.

Reale Arbeitslosigkeit weit unterschätzt

Dass Schulungsteilnehmer (fälschlicherweise) nicht in der offiziellen Arbeitslosenzahl aufscheinen ist mittlerweile bekannt . Gleiches gilt aber auch für Lehrstellensu­chende, Arbeitslose im Krankenstand sowie Arbeitslose, deren Bezug vorüberge­hend gesperrt worden ist. Eine zahlenmäßig große Gruppe sind schließlich noch die Pensionsvorschussbezieher/-innen. Bis zu drei Viertel der Pensionsanträge werden abgelehnt, so dass die Antragsteller wieder Arbeit suchen (müssen.). Der Großteil ist also der Zahl der Arbeitssuchenden zuzurechnen.

Berücksichtigt man diese Verzerrungen, so waren im Jahresdurchschnitt 2004 in Oberösterreich nicht 26.141 Personen arbeitslos, sondern 40.169, das sind um 53 Prozent mehr!

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen:

1) Die in der Wifo-Studie dokumentierte Entwicklung für den Zeitraum von 2000 bis 2003 bzw. 2004 hält an.

2) Das Arbeitsvolumen in Oberösterreich stagniert, die reale, aktive Beschäftigung wächst um ein Drittel langsamer als die offizielle Beschäftigungsstatistik ausweist.

3) Zuwächse gibt es vor allem bei atypischer Beschäftigung und bei Mehrfachbeschäftigungen; Die meisten dieser prekären Jobs reichen zur Existenzsicherung nicht aus, mit der Folge dass immer mehr Menschen auf Sozialhilfe angewiesen sind.

4) Auch in Oberösterreich gibt es eine massive versteckte Arbeitslosigkeit. Durch die offizielle Statistik werden insbesondere die Beschäftigungsprobleme der jugendlichen Berufseinsteiger und die der älteren Arbeitnehmer unterschätzt. Durch die „statistischen Unterbrechungen“ (Schulung, Krankheit, Pensionsvorschuss) wird vor allem auch das tatsächliche Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit unterschätzt.

5) Statistisches Datenmaterial ist eine wesentliche Grundlage für politische Entscheidungen. Die derzeitige Datenlage bildet jedoch das wirtschaftliche Problem in unserem Land nicht realistisch ab. Durch diese mangelnde bzw. verzögerte Problemeinsicht vergeht wertvolle Zeit bis die Politik aktiv wird

Forderungen der Arbeiterkammer

Die AK OÖ fordert eine realistische Darstellung der Arbeitsmarktentwicklung (Arbeitslosigkeit und Beschäftigung) als Grundlage für eine seriöse Problemanalyse. Wer ein Problem nicht erkennt, kann es auch nicht lösen.

Sowohl Bund als auch Land müssen spürbare wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Konjunkturbelebung setzen Die AK OÖ steht den in den letzten Tagen vorgestellten Maßnahmen kritisch gegenüber. Die am sogenannten Konjunkturgipfel beschlossenen Investitionsförderungen werden das Grundproblem der gegenwärtigen Wirtschaftslage nicht lösen. Weder die Umwidmung von ERP-Mitteln noch die Ausweitung von Haftungsübernahmen kann die Investitionen in Oberösterreich nennenswert erhöhen. Bereits bei der bisherigen Dotierung der Fördertöpfe und Kreditrahmen wurden die Mittel nicht ausgeschöpft.

Kombilohnmodelle und andere Formen der Lohnsubventionierung beseitigen die Qualifikationsdefizite in keinster Weise. Es ist zu befürchten, dass reguläre Beschäftigung ersetzt wird und es zu hohen Mitnahmeeffekten kommt.
Weiters wurde die Vorverlegung der Lehrstellenförderung (Blum-Paket) angekündigt, mit der Betriebe zur Aufnahme zusätzlicher Lehrlinge angeregt werden sollen. Die Wirkungslosigkeit derartiger Betriebsförderungen hat sich in den letzten Jahren bereits gezeigt.

Die AK fordert deshalb

-mehr öffentliche Investitionen in die Infrastruktur. Eine Milliarde Euro könnte zusätzlich bis zu 16.000 Jobs schaffen.

-Spürbare steuerliche Entlastung der kleinen und mittleren Einkommensbezieher/-innen zur Stärkung der Massenkaufkraft.

-Mehr Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik und Qualifizierung:

a.) Notwendig ist eine massive Aufstockung der Mittel für die Qualifizierung von Jugendlichen. Ausbildungsangebote, die sich in Berufsorientierung und Teilqualifikationen erschöpfen, produzieren die Arbeitslosen von morgen. Die AK fordert deshalb, die massive Aufstockung der Mittel für Lehrgänge, die zu einem Berufsabschluss führen.

b.) Da die Arbeitslosigkeit der 19- bis 24-Jährigen derzeit besonders stark ansteigt, muss für diese Gruppe die Möglichkeit eröffnet werden, einen Berufsabschluss nachzumachen. Dazu müssen Mittel im oö Beschäftigungs- und Qualifizierungspakt bereitgestellt werden.

c.) Das AMS braucht mehr Mittel und Personal. Die steigenden Arbeitslosenzahlen erfordern ein vermehrtes Betreuungspotenzial des AMS.

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